Rembrandt
Rembrandt wurde im März 1977 in Hamminkeln geboren und kam dreijährig zu mir. Unter den gegebenen Umständen eigentlich viel zu früh, aber …
Hier unsere Geschichte:
Als ich 13 Jahre alt war, suchte ich gemeinsam mit meinen Eltern ein ausgebildetes Pferd, von dem ich die höheren Lektionen der Dressur erlernen könnte. Das war unser Plan …
Wir fuhren zu einem kleineren, aber dennoch bekannten Händler, der seine Verkaufspferde, aufgrund seiner Betriebsgröße, individuell arbeitete. Ich durfte ein M-Pferd reiten, auf dem ich meinen ersten fliegenden Wechsel ritt. Allerdings gab es für dieses Pferd bereits Kaufinteressenten, so dass man uns ein weiteres Pferd vorstellte, Rembrandt. Es war Liebe auf den ersten Blick! Ich konnte ihn so gut wie gar nicht kontrolliert reiten, aber Rembrandt war so niedlich und süß, schlichtweg unser Traumpferd. Wir kauften Ihn (wahrlich nicht die beste Kaufvoraussetzung für ein Pferd …).
E s blieb dabei: Für mich war es nahezu unmöglich dieses Pferd zu reiten. Er war sehr schreckhaft, ging an keiner Tür vorbei. Daher war Rembrandt bei uns zu Hause ständiges Diskussionsthema. Verkaufen oder behalten? Meistens stand es bei uns zu Hause 2:1 für Remmi. Einer von uns wollte ihn aber immer verkaufen. Mal ich, weil ich ihn nicht reiten konnte, mal meine Mutter, die ihn beim Grasen abbürsten wollte, er gegen ihren Arm sprang, der dann gebrochen war, dann mein Vater, der dieses Pferd lediglich führen wollte, was ebenfalls schier unmöglich war.
Wir mussten uns eingestehen, dass Remmi zwar sehr schön und schlau war, aber ebenso unberechenbar. Dennoch blieb er, denn in die Mehrheit der Herzen hatte er sich bereits „eingebrannt“. Im Alter von drei und vier Jahren wurde er in mehreren Materialprüfungen vorgestellt, die er Dank seiner überdurchschnittlichen Grundgangarten meistens für sich entscheiden konnte. L-Dressuren haben wir übersprungen, da ich nicht in der Lage war Rembrandt im Außengalopp präzise zu reiten. In der M-Dressur versuchten wir uns einmal und belegten den fünften Platz.
Mit sieben Jahren war Rembrandt für S-Dressuren ausgebildet und wir nahmen an den entsprechenden Prüfungen teil. Für den Prüfungsverlauf gab es zwei Szenarien, Hop oder Top. Entweder gewannen wir die Prüfung oder glänzten auf dem letzten Platz. Letzteres, wenn Rembrandt in sein schreckhaftes Verhaltensmuster verfiel und seine aufregende, um nicht zu sagen erschreckende Umwelt auf ein Neues entdeckte.
Zwei Jahre später, wir kamen gerade mal wieder aus einer dieser schrecklichen S-Prüfungen und ich ritt Rembrandt völlig frustriert trocken, fragte mich Herr Dr. Schulten-Baumer, ob ich bei ihm trainieren möchte. Natürlich nahm ich sein Angebot sofort an.
Damals hatte ich während des Trainings oft das Gefühlt richtig zu leiden. Aber für jegliche Anstrengung und Schmerzen wurden wir endlos entschädigt, denn der Doktor gab mir endlich den „Schlüssel“ zu meinem Pferd.
Unsere 1. Lektion: Stehts trägt der Reiter die Schuld, denn er macht die Fehler. Demnach nahm der Doktor Rembrandt grundsätzlich in Schutz. Unsere 2. Lektion bestand darin, zu lernen mein
Pferd über den Rücken zu reiten und durch die folgende Losgelassenheit schließlich zu kontrollieren. So konnte ich Remmi überall hinreiten und unsere Lektionen an den vorgesehenen Stellen absolvieren.
Es folgten viele wertvolle Lektionen, in denen ich lernte mit unsichtbaren Hilfen zu reiten, wobei meine Knie, die maßgeblich für solche Hilfen verantwortlich sind, oft blutig waren.
Als Remmi zehn Jahre alt war, ritten wir unseren ersten Grand-Prix in Münster und belegten, für uns nicht ungewohnt, den letzten Rang. Es folgte der nächste Grand-Prix in Bremen. Da ein Reiter aufgegeben hatte, belegten wir den vorletzten Platz. Bei den darauffolgenden Turnieren triumphierten wir mit einem achten und einem vierten Platz.
Unser nächstes Turnier war in Lausanne in der Schweiz. Herr Dr. Schulten-Baumer hatte vorgeschlagen dort zu starten, um von internationalen Richtern beurteilt zu werden. Erfolgreich platzierten wir uns im Grand-Prix auf dem dritten Platz. Alle Erwartungen übertreffend entschieden wir den Grand-Prix-Special für uns. Wir hatten es geschafft!
Man wunderte sich, wo wir denn so plötzlich her kämen und betitelte uns, auch in einschlägigen Medien, als „Eintagsfliege“.
Doch man hatte sich getäuscht. Von da an starteten wir durch und Remmi gewann fast alle Prüfungen.
Im Sommer desselben Jahres fuhren wir zur Europameisterschaft für Junge Reiter nach Cervia (Italien) und holten uns, sowohl in der Mannschaftswertung, als auch in der Einzelwertung, den Titel.
Zu Hause angekommen, ließ ich mich ein Jahr früher als festgesetzt, zu den Senioren hochstufen, um an den Deutschen Meisterschaften teilnehmen zu können, bei denen Remmi Bronze gewann.
Am Ende des Jahres 1987 sind wir in den Olympia-Kader für Seoul berufen worden und wurden dank einer erfolgreichen Saison für die Olympischen Spiele nominiert.
Im April 1988 zog ich mit Remmi um, nach Warendorf zum DOKR (Deutsches Olympisches Komitee für Reiterei). Wir wurden von dem Bundestrainer Harry Boldt betreut, der nicht versuchte Remmis und meinen Trainingsstil umzustellen, sondern der uns effektiv bei unserer Arbeit vom Boden aus unterstützte.
Die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele in Seoul gestalteten sich für uns noch einmal sehr schwierig und dank Dr. Rainer Klimke habe ich dort überhaupt an den Prüfungen teilgenommen. Remmi, bereits als etwas kompliziert bekannt, unfähig Lektionen zu gehen, wenn er nicht locker war und über den Rücken ging, machte seinem Ruf alle Ehre. Demnach habe ich ihn im Training nur in die Tiefe geritten und alle prüfungsrelevanten Lektionen ausgespart. Dies führte dazu, dass alle anderen Beteiligten langsam nervös wurden und versuchten mir Druck zu machen, das Trianing meines Pferdes umzustellen. Verärgert und enttäuscht darüber, das man mir nicht vertraute, wollte ich nach Hause fliegen. Als ich meine Sachen gepackt hatte, schaltete sich Rainer ein. Seinem väterlichen Fürsprechen habe ich es zu verdanken, dass ich blieb und ritt. Wenige Tage vor unserer ersten olympischen Prüfung war Remmi bereit Lektionen zu gehen, fand zu einer fabelhaften Verfassung zurück. Im Grand-Prix noch etwas „heiß“, zeigte er sich im Grand-Prix-Special als Profisportler. Er wurde Olympiasieger!
Remmi und ich wuchsen zusammen, kannten uns in- und auswendig. Er übernahm die Führung und genoss es, sich den Zuschauern zu präsentieren. Dennoch blieb Remmi sich treu, blieb eigen, ganz besonders in Hinblick auf Turnierplätze. Er brauchte Raum, mochte es nicht, wenn die Tribüne zu nah am Viereck stand. Weiter weg stehend hatte er die Zuschauermenge wohl besser im Blick und konnte nach seiner Prüfung seinen obligatorischen Blick in Richtung dieser werfen, als wenn er fragen wollte, ob es ihnen gefallen hat oder nicht.
Im täglichen Training machte mich Remmi fast wahnsinnig. Er erschreckte sich permanent, war manchmal unreitbar. Dann schnallte ich die Bügel kürzer und galoppierte ihn auf der Rennbahn zum Austoben. Da ich ihm vertraute und er in seinen Prüfungen ganz der Profi war, auf den ich mich verlassen konnte, lernte ich relativ relaxt im Training mit ihm umzugehen. Durch unser glückliches Miteinander setzten sich in den folgenden Jahren die Erfolge fort.
Ein tragischer Unfall überschattete das Jahr 1993. Remmi wurde bei der Siegerehrung der Deutschen Meisterschaft von einem Springpferd so schlimm getreten, dass ein Stück Knochen aus seinem Oberschenkel heraus brach. Glücklicherweise konnte Dr. Cronau dieses Stück mit Hilfe von zwei Schrauben fixieren. Folglich wurde Remmi eine Zwangspause verhängt, auch unter solchen Umständen für einen „Workaholic“ ein kaum ertragbarer Zustand.
Nach fast einem Jahr Pause, war er dann wieder bereit und wir wollten unser erstes Turnier, in Steinhagen in der Nähe von Warendorf, bestreiten. Als Remmi in seine Prüfung ging, kamen so viele Zuschauer und Fans von ihm, dass sogar der Große Preis im Springen unterbrochen wurde. Die Zuschauer freuten sich mit uns und jubelten uns mit einer Welle der Begeisterung auf den dritten Platz. Für uns ein wunderschönes und einmaliges Erlebnis.
1996 entschloss ich mich, Remmi mit 19 Jahren aus dem Leistungssport zu verabschieden. Da Remmi so viele Fans hatte, entschieden wir uns, je Himmelsrichtung eine Verabschiedungsshow zu veranstalten. Dank der Zuschauer wurde Remmis Verabschiedungstournee ein Traum. Es war eine unglaubliche Ehre, die sie ihm zuteil werden ließen und ich war irre stolz auf Remmi! Bis zu seinem 22. Lebensjahr ritt ich ihn jeden Tag, bis er es mehr und mehr bevorzugte, auch bei strömendem Regen, auf der Weide zu verweilen. Mit zunehmendem Alter machte ihm seine Arthrose immer mehr zu schaffen, bis wir uns zwei Jahre später schließlich dazu durchringen mussten ihn einzuschläfern.
Jeder, der unsere Geschichte kennt, kann sich vorstellen, wie hart diese Entscheidung für mich war. Es war, als ob ein Teil von mir starb, mit dem ich meine größten Erfolge feiern durfte und dem ich alles zu verdanken habe und von dem ich alles lernte, was ich heute kann!